Kritik der Erlanger Nachrichten, 15.03.2018

Beachtlich: Die Theatergruppe Siemens spielt "Die heilige Johanna" im Himbeerpalast -

ERLANGEN - Das Mädchen, der Glaube und der Tod: Im Vortragssaal des Himbeerpalasts, Werner-von-Siemens-Straße 50, präsentiert die Theatergruppe Siemens Erlangen derzeit das Drama "Die heilige Johanna" von George Bernard Shaw.
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Diese Johanna – wer ist oder war das eigentlich? Eine Kämpferin, eine Gläubige, eine Fanatikerin, eine Irre, eine Geradlinige, eine Heldin? Oder einfach nur "das Mädchen", wie sie von ihrer Umgebung genannt wird? Der Ire Shaw hat 1923 für sein dreistündiges Werk eine Figur gezimmert, die in ihrem Verhalten zwar vordergründig in alle möglichen Richtungen mäandert, aber doch nur einer alleinigen Richtung tatsächlich folgt – der zu Gott. So will es jedenfalls die Überlieferung respektive die Betrachtung durch die Nachgeborenen. Künstler waren nicht wenige darunter.

Also: Hundertjähriger Krieg zwischen England und Frankreich im 15. Jahrhundert. Ein 17-jähriges französisches Bauernmädchen stemmt sich in verfahrener militärischer Situation an die Heeresspitze, eilt von Sieg zu Sieg, missachtet aber in ihrem naiven, weil nur Gott ergebenem Furor die Tatsache, dass draußen in der Welt eine große psychopathologische Gemengelage existiert, die vor Neid, Missgunst, Taktiererei, Standesdünkel und Machterhaltungswillen nur so strotzt. Johanna, der Retterin, wird von Kirche und Staat der Prozess gemacht. Das Urteil: der Scheiterhaufen.


Auch wenn Shaw für sein Stück 1925 den Nobelpreis für Literatur erhielt – in heutigen Augen und Ohren ist das ein Werk vergangener Theatergeschichte. Shaw zeigt nichts, sondern lässt reden. Die einzelnen Figuren (Höflinge, Soldaten, Klerikale) sind Sprachrohre für einzelne Haltungen, die dialoglastig aufeinanderprallen. In seiner rein bildungsbürgerlichen Sprechtheater-Handhabung vernachlässigt der Autor die Möglichkeit und auch Notwendigkeit der visuellen Umsetzung auf der Bühne.

Gerade solche Vorlagen sind oftmals echtes Futter für Laien-Gruppen. So auch hier. Und dann doch wieder – ganz erstaunlich: Da kommen die Amateure der Siemens-Theatergruppe daher, lernen all diese enormen Text-Bausteine auswendig und stellen eine beachtliche Inszenierung auf die Bühne. Regisseurin Sabine Schmidt verzichtet auf jedes modische Blendwerk, konzentriert sich in diesem Stationen-Drama vielmehr auf intensive Schauspielerführung und ebensolchen Erzählduktus. Die Fokussierung aufs Thema ist immens, die Atmosphäre ruhig und stimmig.
 

Das relativ karge Bühnenbild mit seinem Burg-ähnlichen Hintergrund ist durch variable Deko-Bauteile schnell veränderbar, bleibt aber ebenfalls nur sachte in der Funktion, auch die Lichtsetzung ist angenehm dezent. Einmal singt vom Zuschauerbalkon ein Chor herab (in der Pause verbreitet ein Live-Harfenspiel Spätmittelalter-Stimmung), das war’s aber. Nichts soll ablenken vom Drama, das sich im Vordergrund abspielt.

Hut ab vor den Akteuren: Die einzelnen Positionen und Standpunkte werden überzeugend verkörpert, die festgezurrte Typologie verrutscht den Schauspielern zu keiner Zeit. Immer ganz bei sich sind sie und führen in asketischem Rahmen eine schreckliche Geschichte vor. Also gut: Sprechtheater haut doch noch manchmal hin.