Liebe Leserin & Lieber Leser,
vor gut einem Jahr habe ich Ihnen einige Zeilen darüber geschrieben, dass die Bretter, die die Welt bedeuten derzeit wieder das Parkett in den Räumen der Siemens-Sport-und-Freizeit-Gemeinschaft in der Komotauer Straße sind.
Einen „Augenblick“ später ist wieder ein Jahr vorbei; und schon wieder sind wir zurückgekehrt in unseren Probenraum. Und schon wieder ist es über eine Woche her, dass mit der sonntäglichen Nachmittagsvorstellung der Aufführungsreigen sein Ende fand und direkt danach die Bühne abgebaut wurde. Was gut 2 Tage im Aufbau dauerte, verschwand innerhalb von 2 Stunden. Uns Schauspieler erfüllt das jedes Mal mit Trauer, denn wir sagen einer (Schein-) Welt „Lebewohl“, die wir lieb gewonnen haben.
Selbst ich, der fiese Graf von Sandau, der von allen gehasst wurde, habe meine Rolle geliebt.
Sie mögen jetzt vielleicht schaudern und sich fragen, wes Geistes Kind ich wohl sei, aber ich schreibe das aus zwei Gründen. Einmal ist der Graf eine sehr ambivalente Figur, denn er lebt nur das Verständnis seiner Zeit und Gesellschaftsklasse, - in dem irrigen und einfältigen Glauben, dass dies durch eine höhere Ordnung gegeben ist und er dazu da ist diese Ordnung auf Erden zu erhalten; weiterhin ist er ein Gefangener seiner Macht(-Phantasien) und seiner Position als Graf, - er darf keine Schwäche zeigen, und er darf sich schon gar nicht erpressen lassen. Er ist also eigentlich eine Figur, die Mitleid verdient; und Frau Gräfin gewährt ihm sicher nicht ohne Grund am Ende eine zweite Chance.
Zweitens sind böse, sinistere und psychopathische Rollen eine Herausforderung für jeden Schauspieler, egal ob Amateur oder Profi. Die eigentlich erschreckende Faszination am Bösen kann jeder an sich selbst beobachten, der gerne Krimis im TV ansieht oder Thriller liest. Es stellt einen besonderen Reiz dar in eine Rolle oder vielmehr eine Persönlichkeit einzutauchen, die der eigenen fremd ist. Aber man fragt sich auch unwillkürlich, wie fremd einem diese Persönlichkeit wirklich ist, - frei nach Goethe: „(Mehr als) zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust ...“
Doch genug vom eigenen Empfinden; jede(r) meiner Mitspieler(innen) hat auch dieses Mal wieder Grenzen überschritten. Ihre Rollen wurden größer, zentraler, oder er / sie standen zum ersten Mal auf der Bühne; aus modernen, jungen Frauen wurden plötzlich adelige Damen und einige mussten sich gar in das andere Geschlecht hinein versetzen.
Aber ein Ensemble ist bekanntermaßen mehr als die Summe der Einzelnen, und so wurden auch hier Grenzen überschritten; - noch nie mussten unsere Regisseurin und unsere Regieassistenz so viele Schauspieler koordinieren, coachen und motivieren; noch nie war so viel Aktion auf der Bühne zu choreographieren.
Man sagt, dass durchschnittlich für jede(n) Schauspieler(in) auf der Bühne eine Fachkraft hinter der Bühne ist. Wir haben diesmal darauf verzichtet, was eine enorme Zusatzbelastung für jede(n) Schauspieler(in) gewesen ist. Beispielsweise war jede(r) für seine Requisiten selbst verantwortlich. Dafür gab es einen Grund. Vor einem Jahr berichtete ich Ihnen über das große Glück, dass eine Menge neuer, junger, talentierter Menschen zur Gruppe gestoßen waren und vor allem geblieben sind. Diesen Segen konnten wir nicht ungenutzt lassen, und daher haben wir mit dem „Wirtshaus im Spessart“ absichtlich ein Stück mit vielen Rollen gewählt; denn diese Gelegenheit erhält man nicht alle Tage.
Wir erwarten nicht, dass dem geneigten Zuschauer all diese Herausforderungen und Grenzüberschreitungen aufgefallen sind, aber für unsere Gruppe bedeuten sie sehr viel. Sie sind eine Weiterentwicklung, ein Fortschritt, ein Weg, den es sich lohnt weiter zu gehen. Daher versprechen wir Ihnen für das kommende Jahr, dass sich das ganze Team einer weiteren, einer neuen, einer ganz anderen Herausforderung stellen wird.
Lassen Sie sich überraschen! (Jetzt wird natürlich noch nichts verraten.)
Sollten diese Zeilen auch bei Ihnen einen Hauch von Faszination erzeugt haben, oder wenigstens etwas Neugier für das „Theater-Machen“, seien Sie versichert, wir freuen wir uns jederzeit über Interessenten. Und wenn Ihnen das Scheinwerferlicht zu grell sein sollte, dann bringen Sie Ihre Talente hinter der Bühne ein, - etwa bei Design und Herstellung von Bühnenbild und Kostümen, als Requisiteur(in), Choreograph(in), Techniker(in) u.v.a.m.
Außer Begeisterungsfähigkeit und Liebe zum Theater müssen Sie dafür nur wenig mitbringen, - etwas Phantasie, und vor allem Geduld, denn ein Stück hat bei uns ein knappes Jahr Entwicklung und Proben, - und es kann ja nicht jede(r) gleich eine Hauptrolle bekommen … Es zählt das Gruppenerlebnis.
In diesem Sinne, wir freuen uns auf ein Wiedersehen – in welcher Form auch immer!
Im Namen Aller verabschiede ich mich für heute. Servus!
Ihr Stephan Ziehfreund
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